Erster Führungsjob?
Willkommen im Club.

In der Nacht vor dem entscheidenden Bewerbungsgespräch habe ich kaum geschlafen. Zu präsent war der Gedanke, dass es diesmal um meine gesamte zukünftige Karriere geht. Richtig schwer jedoch wurde es erst, als ich den Job hatte. Meine bisherigen Teamkollegen waren jetzt meine Mitarbeiter – und natürlich hatten wir die ein oder andere gemeinsame Leiche im Keller, daher ließen die ersten unmoralischen Angebote aus der Kategorie „tust du mir nichts, tue ich dir nichts“ nicht lange auf sich warten. Totale Unsicherheit auf allen Seiten, meine eigene Komfortzone unerreichbar fern und täglich neue Fragen, auf die ich keine Antwort wusste.

Für mich fühlte es sich an, als ob die Welt um mich herum – vor allem Kunden, Chefs und Mitarbeiter – mit dem neuen Titel auf meiner Visitenkarte auch einen neuen Menschen erwartete: klüger, erfahrener, entschlossener, widerstandsfähiger als der bisherige. In der Lage, die erwartete Leistung sofort zu bringen. Doch die quälendsten Fragen kamen nicht von Außen, sondern pochten in mir:

Wie muss ich sein, dass meine Mitarbeiter mit mir mitziehen – insbesondere in schwierigen Situationen? Wie gehe ich mit schwelenden Konflikten um, die längst von der sachlichen auf die emotionale Ebene gewechselt sind? Wie kann ich Chefs und Kollegen zeigen, dass meine Promotion die richtige Entscheidung war – natürlich, ohne mich anzubiedern? Und überhaupt: darf ich jetzt noch ICH sein oder muss ich jemand anderes werden, um erfolgreich zu sein?

Am meisten vermisst habe ich die Möglichkeit, mich mit Vertrauten zu meinem Dilemma austauschen zu können. Mit meinen Mitarbeitern war das ausgeschlossen (dachte ich damals!), mit Kollegen oder Chefs wollte ich nicht (wäre ja ein Zeichen von Schwäche gewesen – dachte ich damals!), Freunde und Familie waren zu weit weg. Also habe ich weiter im eigenen Saft gekocht, die meisten Entscheidungen intuitiv getroffen und gehofft, dass sich alles zum Guten fügt.

Heute sehe ich sehr viel klarer, was ich damals gebraucht hätte: Perspektiven, Verhalten, Methoden lernen – von Menschen, die meine Situation aus ihrem eigenen Leben kennen. Meine Wahrnehmungen, meine Bewertungen, meine Handlungsmuster kritisch hinterfragen zu können, ohne mich dabei angreifbar oder schwach zu fühlen. „Geschützter“ Austausch mit Wohlgesonnenen und Gleichgesinnten also.

Am Ende ist bei mir vieles gut gegangen – auch weil ich Förderer und Unterstützer fand, die mich ermutigten, immer weiter zu lernen. Aber um ehrlich zu sein: ich erinnere mich an die eine oder andere Situation in den frühen Jahren, auf die ich nicht stolz bin – und die ich mit etwas Unterstützung von außen heute ganz anders angehen würde.

Kurt Frehe

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